19. Februar 2018
Gemeinsame elterliche Sorge – der gesetzliche Idealzustand und die traurigen Ausnahmen!
Ein Kind, um das sich nur ein Elternteil sorgt, hat nur halb so viel an elterlicher Sorge wie ein Kind, um das sich zwei Eltern sorgen. Zwei Erwachsene, die wesentliche Entscheidungen von erheblicher Tragweite gemeinschaftlich und einvernehmlich treffen können, sind besser als nur ein Erwachsener. Sie reden miteinander, müssen das Für und Wider durchdenken, beleuchten verschiedene Aspekte und nutzen zwei Gehirne, um die bestmögliche Lösung für das Kind zu finden. Der Sinn der gemeinsamen Sorge ist, ein Maximum an Ressourcen für das Kind zu schaffen und zu erhalten.
Ein Vorgang, der einleuchtet und auch logisch ist. In der freien Wirtschaft ist diese Logik anerkanntes Allgemeinwissen. Wichtige Entscheidungen trifft niemand gerne alleine. Man berät sich mit anderen, um wirklich alle Aspekte und Konsequenzen umfassend bedacht zu haben. Je wichtiger und weitreichender die Folgen einer Entscheidung sein können, umso mehr Köpfe werden beteiligt. Eine Firma, in der es keine vernünftige Zusammenarbeit auf Führungsebene gibt, wird über kurz oder lang den Bach runtergehen.
Ein Kind ist kein Wirtschaftsunternehmen, aber gleichwohl hängt das Wohlergehen des Kindes von den Entscheidungsträgern ab, also den Eltern. Alleine aus diesem Wissen heraus, finden die Eltern nach einer Trennung in den meisten Fällen den richtigen Weg, miteinander vernünftig umzugehen. Sie verfolgen das gemeinsame Ziel, dass es dem Kind trotz der Trennung der Eltern gut gehen soll.
Umso erschreckender ist es, dass Eltern manchmal alle Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Alltagsleben über Bord werfen. Es wird automatisch davon ausgegangen, dass die selbst längst getroffene Entscheidung die einzige richtige ist. Selbst einleuchtende Einwände können die einmal aus tiefster Überzeugung gefundene Lösung nicht mehr beeinflussen. Viel einfacher ist es, dem anderen Elternteil fehlende Einsichtsfähigkeit zu unterstellen, weil er die getroffene Entscheidung nicht blind unterstützen will.
Eine offene Diskussion findet nicht statt und ist auch nicht gewünscht. Der andere Elternteil wird als Störfaktor empfunden und eine gegenteilige Meinung wird nur vertreten, um den anderen zu ärgern. Es ist unbequem, wenn man immer nachfragen muss oder Informationen weitergegeben werden müssen. Dass es eigentlich darum gehen sollte, sich auszutauschen, die Gedanken gegenseitig zu bereichern und so die bestmögliche Lösung zu entwickeln – das wird vollkommen vergessen.
Dass eine Trennung sich als schwierig und persönlich belastend darstellen kann, wird keiner in Abrede stellen. Meistens führen ungelöste Trennungskonflikte zu unbeabsichtigtem Fehlverhalten eines oder beider Elternteile. Entscheidungen, die aus dieser Situation heraus von Eltern getroffen werden, schaden dabei vielfach den Kindern. Was also gilt es als Eltern zu beachten, damit es nicht soweit kommt?
Als erwachsener und verantwortungsbewusster Elternteil sollte man in der Lage sein, konstruktive Gespräche über das Kind mit dem anderen Elternteil zu führen. Sich für ein Kind entschieden zu haben, heißt elterliche Verantwortung wahrzunehmen. Mit einer vorgefertigten Meinung kann es nicht zu einem konstruktiven Gespräch kommen. Den anderen Elternteil nur darüber zu informieren, wie die eigene Entscheidung lautet und die Zustimmung hierzu zu erwarten, ist kontraproduktiv. Ein produktiver Dialog kann sich nur entfalten, wenn gegenseitig Gedanken und Bedenken zum Thema ausgetauscht werden. Dies sollte generell frühzeitig erfolgen, um in Ruhe eine Lösung finden zu können.
Es gibt Hilfe, wenn die Eltern nicht in der Lage sind, eine konstruktive Gesprächsebene zu finden. Mediatoren, Erziehungsberatungen und das Jugendamt beraten und vermitteln und zeigen auf, wie die Kommunikation sich zwischen Eltern verbessern lässt. Sich Hilfe zu suchen, ist keine Schwäche, sondern der beste Weg, den Sie als Eltern beschreiten können, um das gemeinsame Ziel, dass es dem Kind gutgehen soll, zu erreichen.
Zu meinen, ein alleiniges Sorgerecht könne man auch erzwingen, ist ein Irrglaube. Wer sich hinreißen lässt, gemeinsame Entscheidungen bewusst zu boykottieren in der Annahme, irgendwann würde ein Gericht dann mit der Begründung „Kommunikationsstörung“ dem anderen Elternteil die Sorge entziehen, wird feststellen, dass die Gerichte mittlerweile genau hinterfragen, welcher Elternteil für das Scheitern der Kommunikation verantwortlich ist.
Finden gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Eltern statt, ist es nach meinem beruflichen Verständnis auch die Aufgabe des Anwaltes, einer Entwicklung im vorgenannten Sinne entgegenzuwirken. In Sorge- und Umgangsverfahren vertritt der Anwalt nicht nur einen Elternteil, vielmehr soll und muss der Anwalt letztendlich auch die Interessen des Kindes im Blickfeld haben, damit nicht das Kind am Ende als Verlierer dasteht.
In diesem Sinne haben viele Familiengerichte in Deutschland in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten Verhaltensregeln herausgegeben, die dazu beitragen sollen, dass Eltern ihre Konflikte nicht über die Kinder austragen. Für das Familiengericht Würzburg wurde der „Würzburger Leitfaden für Verfahren vor dem Familiengericht“ erarbeitet.
Ziel des Leitfadens ist es, den beteiligten Eltern unter Mitwirkung aller am Verfahren beteiligten Stellen und Institutionen einen Weg aufzuzeigen, wie sie aufgetretene Konflikte in der Trennungssituation im Zusammenhang mit ihren gemeinsamen Kindern möglichst eigenverantwortlich und eigenbestimmt lösen können.
Das Verhalten des Anwaltes ist darauf gerichtet, den Eltern ein möglichst konfliktfreies Verhältnis zueinander zu ermöglichen. Sowohl im Schriftsatz des Antragstellers als auch im Schriftsatz des Antragsgegners hat jede herabsetzende Äußerung über den anderen Elternteil zu unterbleiben; es sind nur kurz und sachlich die unterschiedlichen Auffassungen vorzutragen.
Als Fachanwältin für Familienrecht habe ich zahlreiche gerichtliche Verfahren geführt. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass ein sorgsamer und verantwortungsvoller Umgang in diesen Verfahren allen Beteiligten, allen voran den Kindern, am meisten hilft.
Andrea Riedi, Fachanwältin für Familienrecht